Thursday, March 23, 2017

VON IVO BOZIC Ein Nachruf auf Werner Pirker 23. jan. 2014


Die personifizierte Antithese

Der Chefkommentator der Tageszeitung Junge Welt, Werner Pirker, ist gestorben. Die antinationale und emanzipatorische Linke hat einen ihrer besten Feinde verloren.
VON IVO BOZIC Ein Nachruf auf Werner Pirker
Um jemanden davon zu überzeugen, dass Äpfel gesünder sind als Schnäpse, gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann die Vorzüge der Äpfel preisen oder auf die Nachteile der Schnäpse hinweisen. Beides kann sinnvoll sein. Der Hinweis auf die Gegenposition kann der eigenen Argumentation jedenfalls nützen, zumal wenn die Antithese zugespitzt und klar und deutlich formuliert wird. Die Bedeutung eines guten Feindes ist also nicht zu unterschätzen. Aber gute Feinde sind rar. Wenn es so etwas wie einen Lieblingsfeind geben kann, dann war Werner Pirker ein solcher; für viele antinationale und antiauto­ritäre Linke, und erst Recht für jene in der Jungle World, die damals 1997 beim großen Bruch dabei waren, beim politischen Streik in der Jungen Welt. Nachdem Geschäftsführer Dietmar Kosch­mieder eine politische Kurskorrektur vornehmen und die Zeitung auf eine die DDR verklärende, orthodox marxistische Linie bringen wollte, verließ fast die gesamte Redaktion aus Protest das Projekt und gründete die Jungle World. Einer von nur drei Redakteuren, die hinter Koschmieder standen, war Werner Pirker. Während Koschmieder den nötigen Bruch mit uns Unorthodoxen mit betriebswirtschaftlichen Argumenten zu begründen versuchte, war es Pirker, der die politische Dimension des Konflikts personifizierte.
Er wurde somit ungewollt zum Geburtshelfer der Jungle World. Pirker war das absolute Gegenteil von dem, was die meisten von uns als links verstanden. Die Abgrenzung zu ihm beziehungsweise seinen Positionen hatte später keinen geringen Einfluss darauf, wie sich die Jungle World entwickelte. Vor einem Jahr hat er dies in einem Interview mit dem Online-Magazin Schattenblick völlig richtig nachgezeichnet: »Das war 1997, als die Auseinandersetzung zwischen dem antinationalen bzw. ›antideutschen‹ und dem marxistisch orientierten Flügel in der Jungen Welt eskalierte. Sie endete mit dem Auszug der Antinationalen, die sich dann als Jungle World selbständig machten. Viele haben das damals als einen unter vielen unnötigen Konflikten zwischen Linken wahrgenommen. Aber wenn man sich heute die Junge Welt und die Jungle World anschaut, wird klar, warum es zum Bruch kommen musste. Es handelte sich um einen antagonistischen Konflikt, nicht um einen innerlinken Streit.«
Irgendwie hat es sich also schon auch wie ein Verlust angefühlt, als ich am Mittwoch voriger Woche von seinem überraschenden Tod erfuhr. Es war ja manchmal wirklich einfach: Wenn ich zu irgendeinem politischen Ereignis wissen wollte, wie die schlimmste sich als links gerierende Position dazu wohl lauten würde, dann brauchte ich nur bei Pirker nachzulesen. Zuverlässig schrieb er immer genau das, was man erwartete, oder er legte gar noch eine Schippe drauf. Wenn sich in Serbien (2003) die Rechtsextremisten mit Saddam Hussein solidarisierten und mit antiimperialistischen Linken eine Querfront eingingen, dann konnte man sicher sein, dass der Chefkommentator der Jungen Welt dies am nächsten Tag begrüßen würde: »Die wirklich relevanten Rechtsradikalen unserer Zeit« seien jene Linken, die sich in »Komplizenschaft mit der neoliberalen Reaktion« begeben. Den Terrorismus im Irak nach dem Krieg 2003 verklärte er als »Widerstand«, »nicht mehr und nicht weniger terroristisch, als es die französische Résistance war«. Als im Iran 2009 die Menschen gegen das Regime auf die Straße gingen, kommentierte er: »Was sich im Iran abzeichnet, ist die konterrevolutionäre Revanche an der Islamischen Revolution als Eman­zipationsprozess der Volksklassen.« Beim Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi 2011 trauerte er der »antiimperialistischen Mobilisierungsfähigkeit« des Regimes nach. Den jeweils denkbar antiamerikanischsten, antiisraelischsten oder antiemanzipatorischsten Gedanken innerhalb des linken Universums formulierte sicher immer Pirker. Dass er mit seinem nationalen Antiimperialismus Beifall auch von Neonazis erhielt (Jungle World 5/06), war kein Wunder.
Die gehörten auch nicht zu seinen ärgsten Gegnern. Bei der Jungen Welt vor 1997 sprach er sich immer für die Abschaffung der Antifa-Seite aus. Der einzig echte Antifaschismus sei der Antikapitalismus, erklärte er mir einmal. Allgemein mischte er sich bei Redaktionskonferenzen eher selten in Debatten ein, und wenn, verstand ihn ohnehin kaum jemand, denn er nuschelte wie kaum ein Zweiter, und das mit starkem Dialekt. Doch alles, was er schrieb, war durchdacht und klar und stilistisch einwandfrei formuliert. Er schrieb direkt, ohne taktische Umwege. Politisch war Pirker die rotbraune Querfront in Person. Jürgen Elsässer, der während des Streikes in der Jungen Welt als Frontmann des Antideutschtums auf der anderen, also auf unserer Seite stand, bald darauf jedoch eine einmalige politische Kehrtwende vollführte, war zuletzt mit Pirker wieder gut befreundet. Seinen Nachruf auf ihn hat er überschrieben mit: »Kommunistisch und national: Ein großer Mann ist von uns gegangen.« Elsässer lobt Pirker als »österreichischen Patrioten«, der schon »Anfang der 1970er Jahre gegen die zionistischen Einflussversuche in der Linken« gekämpft und »diese Position bis zuletzt durchgehalten« habe. »Werner war ein Prachtkerl der alten Schule. Ein Kärntner Grantler, mit viel Liebe zum Volk und galligem Spott für die neulinke Randgruppenpolitik. Er gehörte zu den altmarxistischen Sauriern, die im Dschungel der Achtundsechziger nie heimisch geworden sind.« Das trifft es ziemlich genau.
Ich erinnere mich, wie Pirker in der Redaktion der Jungen Welt zum ersten Mal das Gespräch mit mir suchte. Wir standen im Türrahmen, er rauchte, wie eigentlich immer, und er nuschelte auf mich ein. Ich musste mehrfach nachfragen, bis ich verstand, dass er – sinngemäß – sagte, wir Kärntner beziehungsweise Oberkrainer wären ja quasi aus demselben Holz. Ich wusste nicht, wie er das meinte – ich bin Slowene –, und drum fiel mir überhaupt keine Antwort ein. Später verstand ich, dass es wohl weniger ein kärntnerisch-nationaler Schulterschluss sein sollte, sondern Ausdruck seiner Slawophilie war, die natürlich auch politisch begründet war. Sein österreichischer Genosse Wilhelm Lang­thaler von der Antiimperialistischen Koordination in Wien schreibt in seinem Nachruf: Das »Serbisch-Jugoslawische« repräsentierte für Pirker »die letzten Reste einer nichtkapitalistischen kulturellen Identität, eine Brücke zwischen vor- und nachkapitalistischen Momenten, in der das Kollektiv noch Bedeutung hat. Es diente gleichsam als Surrogat für das viel gröbere Russische, dessen antikapitalistisches Moment die sowjetische Führung zu Grunde gerichtet hatte. Beim Singen von Partisanenliedern war Werner wirklich in seinem Element.« Ich habe ihn nie Singen gehört, und miteinander gesprochen haben wir auch selten, sondern in der Redaktion der Jungen Welt nebeneinanderher gelebt. Bis zum Streik 1997, als Pirker nur knapp davon abgehalten werden konnte, mir einen Faustschlag zu versetzen. Bei der Relaunch-Party der ersten Ausgabe der Jungle World am 3. Juni 1997 habe ich mit einer Budjonny-Mütze auf dem Kopf Pirkers »Kubaletten« genannten kubanischen Plastiksandalen versteigert, die er immer in der Redaktion trug. Die politische Auseinandersetzung mit ihm begann erst danach.
Pirker, 1947 in Kärnten geboren, war früh Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs, 1975 begann er bei deren Zentralorgan, der Volksstimme, als Sportredakteur zu arbeiten. 1986 ging er, ohne der russischen Sprache mächtig zu sein, als Korrespondent nach Moskau und erlebte dort den Niedergang der Sowjetunion, ein Ereignis, das ihn sehr prägte. Ein Kauz war er aber schon damals. Die Schmutzwäsche brachte er von Moskau immer in zwei Säcken mit nach Österreich, damit seine Mutter sie waschen konnte, erzählte er einmal einem Kollegen. Er schrieb für Konkret, von dort holte man ihn 1995 als Redakteur für Außenpolitik zur Jungen Welt nach Berlin. Nach 1997 wurde er vorübergehend auch stellvertretender Chefredakteur. Im vorigen Jahr beteiligte er sich an der Gründung der »Partei der Arbeit« in Österreich. Auf der ihr nahestehenden Internetseite »Kominform.at« heißt es im Nachruf: »Er hinterlässt nicht nur eine Lücke in der marxistischen und antiimperialistischen Publizistik. Nein, sein Tod ist eine Bresche für die antimarxistischen, proimperialistischen sogenannten ›antideutschen‹, revisionistischen Kräfte und ihre Federhuren. Es wird nicht leicht sein, einen auch nur einigermaßen adäquaten Ersatz im Widerstand gegen diese Kräfte zu finden.«
Die Junge Welt veröffentlichte am Freitag unter ihrem Nachruf einen alten Artikel von Pirker, ein durch und durch antiisraelisches Pamphlet. Als solle sein leidenschaftlicher Antizionismus das sein, was von ihm im Gedächtnis bleibt. Gut möglich, dass dies in seinem Sinne gewesen wäre, vielleicht hätte er sich auch ein slowenisches Partisanenlied gewünscht, das lässt sich jetzt nicht mehr mit Gewissheit sagen. Aber sicher ist, dass Werner Pirker fehlen wird, den Nationalbolschewisten sowieso, aber auch seinen Gegnern.http://jungle-world.com/artikel/2014/04/49218.html

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