Friday, June 24, 2016

Tair Kaminer Warum ich den Dienst in der israelischen Armee verweigere


MEIN NAME ist Tair Kaminer, ich bin 19. Vor ein paar Monaten habe ich ein freiwilliges Jahr bei den israelischen Pfadfindern in Sderot [1] beendet. In ein paar Tagen werde ich ins Gefängnis gehen.
Ein ganzes Jahr lang habe ich in Sderot als Freiwillige mit Kindern gearbeitet, die in einem Kriegs-gebiet leben, und dort habe ich beschlossen, den Dienst beim israelischen Militär zu verweigern. Ich will damit meinen Beitrag für meine Gesellschaft zu leisten und sie zu einem besseren Ort zu machen. Meine Verweigerung ist Teil eines fortlaufenden Kampfes für Frieden und Gleichheit.
DIE KINDER, mit denen ich gearbeitet habe, sind im Herzen des Konfliktes aufgewachsen und haben von klein auf schwierige Erfahrungen gemacht, Erfahrungen, durch die bei vielen von ihnen großer Hass erzeugt wurde, ein Hass, den man – besonders bei kleinen Kindern – verstehen kann. So wie sie, lernen viele Kinder, die im Gazastreifen und im Rest der besetzten palästinensischen Gebiete in einer noch schwierigeren Realität leben, die andere Seite zu hassen. Auch ihnen kann man daraus keinen Vorwurf machen. Wenn ich all diese Kinder zusammen betrachte, die nächste Generation auf beiden Seiten, und die Realität in der sie leben, dann sehe ich kein Ende dieses Traumas und dieses Schmerzes. Und ich sage: Es reicht!
Seit Jahren schon gibt es keine Perspektive für einen politischen Friedensprozess und es gibt keinen Versuch, Frieden nach Gaza oder Sderot zu bringen. Aber solange der Weg militärischer Gewalt weiter beschritten wird, erzeugen wir Generationen voller Hass, die alles nur noch schlimmer machen werden. Wir müssen dem jetzt Einhalt gebieten.
Deshalb verweigere ich: Ich will mich nicht aktiv an der Besatzung der palästinensischen Gebiete beteiligen, nicht an dem Unrecht, das dem palästinensischen Volk unter dieser Besatzung zugefügt wird. Ich will nicht mitwirken an dem Kreislauf des Hasses in Gaza und Sderot.
DER TERMIN für meine Einberufung wurde auf den 10. Januar 2016 festgelegt. An diesem Tage werde ich bei der Einberufungsstelle in Tal Hashomer vorsprechen und erklären, dass ich mich weigere, Militärdienst zu leisten, und dass ich zur Ableistung eines zivilen Ersatzdienstes bereit bin.
IN GESPRÄCHEN mit mir nahestehenden Menschen wurde ich beschuldigt, die Demokratie zu schädigen, indem ich den Gesetzen des Staates nicht Folge leiste. Aber die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben unter der Herrschaft der israelischen Regierung, obwohl sie diese gar nicht gewählt haben. Ich bin überzeugt, dass sich Israel, solange es ein Besatzerstaat bleibt, auch immer weiter von der Demokratie entfernen wird. Und deshalb betrachte ich meine Verweigerung als Teil des Kampfes für Demokratie und nicht als einen Akt gegen Demokratie.
Man sagte mir, dass ich mich meiner Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel entziehe. Aber als eine Frau, in deren Augen alle Menschen gleich sind und das Leben aller Menschen gleich wichtig ist, kann ich das Sicherheitsargument nicht gelten lassen, solange es nur bei Juden ange-wendet wird. Gerade jetzt, bei der anhaltenden Welle des Terrors, zeigt sich ganz klar, dass das Militär nicht einmal Juden zu schützen vermag, weil es in einer Besatzungssituation eben keine Sicherheit geben kann. Wirkliche Sicherheit wird es erst dann geben können, wenn das palästinen-sische Volk in Freiheit und Würde in einem unabhängigen Staat an der Seite Israels lebt.
Es gab auch Menschen, die sich über meine persönliche Zukunft in einem Staat Sorgen machten, in dem die Ableistung des Militärdienstes eine so große Bedeutung hat. Sie schlugen vor, dass ich den Militärdienst trotz meiner Überzeugungen ableisten oder ihn zumindest nicht öffentlich verweigern solle. Aber trotz all der zu erwartenden Schwierigkeiten und begründeten Besorgnisse bin ich zu der Entscheidung gelangt, meine Verweigerung öffentlich zu machen. Dieser Staat, dieses Land, diese Gesellschaft sind mir zu wichtig, um mich auf ein Schweigen einzulassen. Ich bin nicht so erzogen worden, dass ich mich nur um mich selbst zu kümmern habe; bis heute ging es in meinem Leben [stets auch] um Geben und um soziale Verantwortung.
ICH WÜNSCHE MIR, dass meine Verweigerung, auch wenn ich für meine Person einen Preis dafür zahlen muss, dazu beitragen wird, dass die Besatzung in Israel ein Thema des öffentlichen Diskurses wird, weil so viele Israelis von der Besatzung nichts mitkriegen und sie in ihrem tägli-chen Leben vergessen - einem Leben, das im Vergleich zu dem der Palästinenser oder sogar im Vergleich zu dem der Israelis im Westen des Negev (in der Nähe des Gazastreifens) so sicher ist.
MAN SAGT UNS, dass es keinen anderen Weg gibt als den der militärischen Gewalt. Aber ich glaube, dass das der destruktivste Weg ist und dass es sehr wohl andere Wege gibt. Ich möchte uns alle daran erinnern, dass es Alternativen gibt: Verhandlungen, Frieden, Optimismus, den aufrichti-gen Willen, in Gleichheit, Sicherheit und Freiheit zu leben.
Man sagt uns, dass das Militär nichts mit Politik zu tun hat. Aber den Militärdienst zu leisten, ist eine politische Entscheidung von großer Bedeutung, genau wie seine Verweigerung.
Wir, die jungen Leute, müssen die Bedeutung dieser Entscheidung in ihrer ganzen Tragweite verstehen. Wir müssen die daraus folgenden Konsequenzen für unsere Gesellschaft verstehen. Nachdem ich diese Bedeutung erfasst habe, lautet meine Entscheidung: ich verweigere. Das Militärgefängnis schreckt mich sehr viel weniger als die Vorstellung, dass unsere Gesellschaft ihre Menschlichkeit verliert.


Die Übersetzung wurde von amnesty international angefertigt und von SALAM SHALOM leicht überarbeitet.

[1] Sderot ist eine Stadt im südlichen Israel, im Westteil der Negev-Wüste, unweit des nördlichen Gaza-streifens. Sie wurde 1951 auf dem Land des palästinensischen Dorfes Nadschd gegründet. Dessen Einwohner waren 1948 von jüdischen Truppen nach Gaza vertrieben worden. Das Dorf selbst war seinerzeit vollständig zerstört worden. Die ehemaligen Bewohner und ihre Nachkommen leben bis heute als Flüchtlinge im Gazastreifen.

Am 3.Mai 2016 wurde Tair zum fünften Mal verurteilt, diesmal zu 30 Tagen Gefängnis.

SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V. www.salamshalom-ev.de salamshalom.ak@gmail.come Verantwortung.






No comments:

Post a Comment