Friday, July 27, 2012

Bethlehem eingemauert


 Foto: Sylvia Jerusalem, May 12

Nördlich von Bethlehem verläuft die "israelische Sperranlage", die  es den einheimischen Bewohnern des "christlich" dominierten Ortes so gut wie unmöglich macht, ins nahe gelegene  Jerusalem zu gelangen.

Wer beim Anblick dieses Mauerungetüms, das sich Hunderte von Kilometer weit durch das  palästinensische Westjordanland schlängelt, nicht begreift, welch grenzenloses Unrecht hier geschieht und von wem dieses Unrecht ausgeht, dem muss das Herz verdorrt sein. Die Berliner Mauer war ein Waisenkind gegen dieses  bis zu acht Meter hohe Trenngebilde.

Nur wenige  Menschen allerdings  scheinen bereit,  dem Verhängnis direkt ins Auge zu blicken. Es ist   zumindest  in Israel/Palästina  möglich, ihm optisch ausweichen. Der Anblick der "Schandmauer",  wie es  einst  anderswo hieß, bleibt dem durchschnittlichen  Israel-Touristen ebenso erspart wie der Mehrheit seiner Bürger. Ein  Israel- oder selbst Palästina-Reisender gelangt nämlich  auf  den  eigens für die  jüdischen Siedler im besetzten Westjordanland  angelegten Straßen  meist unbehelligt zu den berühmten  Stätten des Heiligen Landes.  Jeder israelische Bürger,  kann  sich dem Anblick  des für ihn  und seine Siedler geschaffenen "Sicherheitszaunes"   weitestgehend entziehen.  Strebt  er überhaupt danach, in die   "gefährlichen",   OPT-Zonen zu reisen, wo sich die Wehrdörfer der israelischen Siedler befinden, wird er oder sie die Apartheidstraßen benutzen. Die Nähe zu den verrufenen Brutstätten der "arabischen Gewalt", den "Zentren des Terrorismus", den  "Krisengebieten"  wird er tunlichst meiden.

Leider erfreut sich das  uralte  Bild von den drei Affen, die nichts sehen und nichts hören und  also nichts sagen müssen auch  im einst so wunderschönen, weltoffenen Palästina/Israel und anderswo großer Beliebtheit.

Das den  jenseits des "Schutz-Walles" lebenden  Palästinensern  mit der Trennbarriere  einmal  mehr zugefügte  Unrecht ist allerdings der Welt  längst bekannt. Seine riesigen Betonquader wurden in Bethlehem von internationalen Graffiti-Künstlern kreativ  bereichert. Die Bilder sind  durchaus von  beeindruckender Qualität. Davon zeugen auch die davon gefertigten Fotos und Postkarten. Sie sind ebenso berühmt wie das Mauerwerk selbst.


Foto: Andrea Kunert, Juni 2012


 Alles darüber steht  im Netz. Filme , wie "The Iron Wall" sind  der interessierten Öffentlichkeit ebenfalls  zugänglich.  Das eigentlich  Erschütternde  ist daher  die Unterlassungssünde des Wegguckens und Verharmlosens. Trotz all den bekannten und frei zugänglichen Fakten über die Mauer auf palästinensischem, rechtswidrig enteignetem Territorium, trauen sich wenige nur die Not-wendigen Schritte zu tun. Zu mächtig erscheinen die sie schützenden Interessen.   Die für den "Schutzwall" verantwortlich Zeichnenden werden daher niemals  als  "Regime" oder "Unrechtsstaaten" angprangert.  Gegenüber den bedrohten  Nachbarländern   Syrien oder Iran etwa  ist dagegen eine solche Einstufung -  absurderweise  - eine selbstverständliche sprachregelnde Geste.  Eine völlig verquere und  immer aufs neue missbrauchte Schambarriere ist gegenüber dem real existierenden Israel am Werk.  Diese Schamschiene ermöglicht es, vollkommen verzerrte Erklärungsmuster zu offerieren für die  nicht zu leugnenden Tatsachen vor Ort. Opfer mutieren demzufolge in der Weltpresse zu Tätern. Geschuldet  ist  die Schambarriere  und ihre fatalen Folgen, einem  früheren Schweigen über frühere geschehenes,  großes Unheil.   Verhängnisschwanger beschwört das neuerliche betretene Wegschauen neue, noch  schwerer wiegende  Menschheitsschuld herauf. Siehe dazu das fast schon wieder vergessene  Günter Grass-Gedicht "Was gesagt werden muss".

Trotz der wochenlangen und weltweiten Debatte über das  so wichtige Gedicht des   Literaturnobelpreisträgers bricht  eher ein Nashorn  durch diese  (Schweige-) Mauer als  dass das  völkerrechtswidrige Vorgehen allgemein  thematisiert und verurteilt würde.  Dem wirkt schon  die öffentliche Hinrichtung  des forschen  Greises Günter Grass entgegen. In die gleiche Richtung wirkte zuvor schon die Auspeitschung des südafrikanischen Richters Goldstein.  Mit derlei Methoden  soll das Angstniveau angehoben und die  Kleinmütigkeit geschürt werden. Eine wenngleich wenig aussichtsreiche, heimliche  Hoffnung auf  Teilhabe am Wohlstand,  der schon in einer anderen Epoche in der Nähe des "Heiligen Grabmals"  gesucht und gefunden wurde, tun ein Übriges.
Entgegen diesem  ruinösen Trend ist  es dennoch unerlässlich und  in aller Interesse zu  fordern, dass die Auftraggeber  und ihre  ausführenden Organe zur Rechenschaft für ihr unheiliges Tun gezogen werden.  Solches muss möglich sein, nachdem ein internationales Gericht in Den Haag den  dafür grundlegenden Urteilsspruch schon vor Jahren vorlegte. Solange sich aber der Mantel des schamhaften  Schweigens weiter über  die doch  anerkanntermaßen untragbaren  Praktiken  der   Besatzungsmacht hüllt, wird das  humanitäre Völkerrecht  dort weiterhin mit Füßen getreten werden. Die Stimme der Weltöffentlichkeit, die dieses einzufordern, muss lauter und vernehmlicher ertönen.

Thursday, July 26, 2012


Station 1 der Pilgerreise: Hebron


Foto: Sylvia Jerusalem, Mai 12

Kommt und seht, seht und fühlt, fordert uns der freundlicher Fremdenführer Walid Abu-Alhalweh auf. Der Sanierungsspezialist empfängt unsere kleine Pfingstpilgerschar am Eingang der Al Shuhada, der ehemals pulsierenden Hauptgeschäftsstraße in der Altstadt von Hebron. Der einzige Weg zum Grab des Patricharchen führt durch die inzwischen „aus Sicherheitsgründen“ von mehreren Seiten  her verbarrikadierte  zentrale Gasse des  einst berühmten  Suk.  Wir befinden uns in der Zone C im südlichen Westjordanland, in der C-Zone,  nach israelischer Lesart, im jüdischen  Galiläa. Die "heilige Stadt" Hebron ist, zusätzlich zum übrigen Gebiet der "Occupied Palestinan Territories" (OPTs),  nochmals  in die Zone H1 und H2 geteilt, so die  offzielle UN-Sprachregleung.  Die palästinensischen C-Gebiete werden  ebenso wie die H2 Zone  ausschließlich  von  israelischen  Behörden aus administriert.  Laut so gedeuteter Zuschreibung im Alten Testament gehört dem hebräischen Volk  ja das ganze historische Palästina.
 Erstmals sehe ich nun  hier  mit eigenen Augen, was dieser historische Anspruch  für die in der biblischen Stadt lebenden Menschen bedeutet. Ich sehe, was „Siedlertum“ in Israel-Palästina, in  den "OPTS"  bedeutet. Jüdisch-israelische Einwohner haben sich nämlich in Hebron, wie übrigens  auch in Ostjerusalem unmittelbar auf den Häusern der arabischen Ureinwohnern angesiedelt. Damit die Hausbesitzer und Altmieter sich solche aufsitzenden  "Einlieger" gefallen lassen, sind  bewaffnete Militärposten an strategischen Punkten stationiert.  Blutjunge, dienstverpflichtete, hebräische Soldaten  sitzen  hinter stacheldrahtverkleideten Wachtürmchen und  beschützen von dort aus ihre übergriffigen Landsleute. Die  jungen Burschen langweilen sich wohl die meiste Zeit. Auf engem Raum eingepfercht glotzen sie  auf die vielversprechenden  israelischen Fähnchen, die  eventuell im Winde hin und her wedeln. Das ungute Treiben zu ihren Füßen nehmen sie vielleicht gar nicht mehr  wirklich wahr. Wahrscheinlich  wären sie  doch viel lieber  ganz  wo anders, vielleicht in Tel Aviv, wo es moderner  und freier  für sie zugeht.
Wir  versuchen ihre Anwesenheit  für dieses Mal  zu ignorieren und gehen vorwärts   durch die triste Marktgasse. Der  freie Blick nach oben ist  uns  verwehrt. In den über die  Straße hinweg  aufgespannten Netzen lagert Unrat. Die schmutzigen  Teile   wirken , wie so vieles hier,   eher  wie eine  hilflose Abwehrgeste. Die  noch verbliebenen arabischen Händlern  schützen damit notdürftig ihre Waren, potentielle  Kunden  und auch  sich selbst vor dem herabfliegenden Müll.  Dieser   wird von den zugewanderten jüdisch-israelischen Siedlern nämlich achtlos aus den Fenstern geworfen.

Mittelalter  oder Postmoderne? In Israel-Palästina verschwimmen die Konturen immer wieder auf's Neue.

Während wir im Moment mit unseren Gefühlsstellungnahmen zu den  eben empfangenen Bildeindrücken noch  kämpfen, sind wir  schon am Abzweig zur Abrahams Moschee angelangt und müssen leicht bergan durch einen "Checkpoint". Dies ist einer der  unzähligen Kontrollpunkte, wie sie sich  übers ganze  besetzte  Land verstreut, vor allem  für die  Hiesigen, zu jeder Zeit und an jedem Ort, auftun können.
Nach der üblichen Taschenkontrolle und eventuellen  Abtasterei, wie man sie inzwischen von jedem Flughafen kennt, gelangen wir an Eisenstäben, Stacheldraht und Wachsoldaten vorbei zum eigentlichen Heiligtum, in dem sich Gräber der Patriarchen samt ihrer Gattinnen befinden sollen.

Der stattliche Sakralbau, bekannt als Abrahams-Moschee, zur Zeit der Mameluken gebaut, birgt die Sarkophage der biblischen Urväter  und -mütter. Es ist dies ein  ursprünglich umfänglicher, würdiger, schmucker Ort, der von Juden und  Muslimen geehrt wird. So zumindest will es die Legende.  Der Anschlag des jüdisch-amerikanischen Arztes Baruch Goldstein, einem  der vielen aus der Neuen Welt eingewanderten  Siedler aus Kiryat Arba im Jahre 1994 lässt an dem Respekt vor der  Heiligkeit des Ortes durch orthodoxe Juden Zweifel aufkommen. Der fanatisch religiöse Mann erschoss damals 29 palästinensische Gläubige während ihres Gebets im Gotteshaus und verletzte  120 weitere zum Teil schwer. Die unheilvolle Tat hatte für die Überlebenden, Familien der Opfer  und alle Bewohner Hebron  noch fatalere  Folgen. Mit seiner rassistisch motivierten Tat gegenüber der arabischen Bevölkerung hat  sich  der vielfache Mörder unter den Siedlern einige Freunde gemacht. So befindet sich an der Einfahrt zur nahe gelegene Siedlung  Arba eine Grabstätte. Dieses  Grab erinnert an den “Helden Baruch”. Auf Grund seiner verhängnisvollen, bösen Tat wurde  schließlich die Moschee segregiert und der Zugang zu ihr für das Umfeld der Opfer streng reglementiert. Eine jüdische Hälfte wurde zu einer  Synagoge umfunktioniert. Auf Grund der verschärften Sicherheitsvorkehrungen finden sich selbst zu Gebetszeiten  heutzutage nur noch wenige Muslime am stillen Ort ein, um  dort   frei von den üblichen Belästigungen  zu ihrem Gott zu beten oder einfach nur stille Einkehr zu halten.
Wir Touristen dürfen den Ort über einen  besonderen Ausgang, der zu einer rein jüdischen Siedlung führt,  leichtfüßig und unbehindert verlassen. Auf der Siedlerseite ist gleich alles großzügig, luftig, viel Grün. Hier lässt sich's leben.
 Eine Gruppe israelisch-palästinensischer Frauen, die nach uns zum Tor gelangt ist, darf diese Sperre nicht passieren, obwohl sie einen seriösen, mittelständischen Eindruck machen. Prinzip ist Prinzip. Diesem Prinzip folgend gelten für arabische und jüdische Menschen nicht die gleichen Gesetze im heiligen Land.
Der letzte plästinensische Ladenbesitzer auf dieser Seite, also der von jüdischen Siedlern bevölkerten,  lädt uns freundlich zum Verweilen und vertieften Schauen ein. Ein Glas Tee ist wie immer im Angebot enthalten. Um keinen Preis, so erklärt er uns freundlich, will er hier weichen.
Wie lange wird er dem Druck noch standhalten können?

Wednesday, July 25, 2012

Reisebericht aus dem "Heiligen Land" von Irene Eckert


Via Dolorosa - 12 Stationen einer Pilgerreise ins Heilige Land


nebenstehendes fotos: andrea kunert, 
aufgenommen im westjordanland, juni '12
vom 27. 05. bis zum 8. 06. 2012 war ich mit 11 anderen "pilgern" in israel/palestina.

Trotz unseres nicht unerheblichen vorwissens wurden wir erschüttert durch die vor ort erlebten eindrücke im westjordanland, auf den golanhöhen, in nazareth und in jerusalem. wir 12 pilger waren uns bald einig – seite an seite mit den israelischen veteranen müssen wir das unheilbringende schweigen brechen.

Nichts ist gut dort im "heiligen land". unheil verkündende signale verweisen auf schwerwiegende menschheitliche unterlassungssünden. seit über 60 jahren verschlimmern sich die zustände in der levante vor den augen einer blinden, durch vergiftete nachrichten handlungsunfähig gemachten weltöffentlichkeit . inzwischen bergen die verharmlosend „konflikte“ genannten unrechtstatbestände den gefährlichen sprengstoff, der sich gegenwärtig in syrien explosiv entlädt und der sogar das potential eines nuklearen flächenbrandes in sich trägt. günter grass hat es treffend so formuliert:


Die atommacht israel gefährdet
 den ohnehin brüchigen weltfrieden“

Mit der solidarität eines nobelpreislaureaten im rücken, will mein reisebericht sich vor allem folgender aufgabe widmen:

  • die situation in nahost hintergründig beleuchten, die wie ein krebsherd der zerstörung um sich greift .
    Im zeitalter scheinbarer religionskriege soll die suche nach wahrheit und gerechtigkeit - das anliegen aller großen religionsstifter und das anliegen großer menschheitlicher bewegungen neu bedacht werden.
  • recht und gerechtigkeit tragen heute den namen völkerrechtlicher verträge, allen voran das logo der UN-Charta
Die permanenten völkerrechtsbrüche in der "konfliktzone" nahost müssen als resultat einer unheilschwangeren wirtschaftsweise begriffen werden, die kriege und die ausplünderung fremder ressourcen wie die wolke den regen mit sich bringt.

Schließlich spielt sich im nahen osten die fortsetzung der tragödie ab, die der faschismus in die welt getragen hat. schuld daran ist weder ein volk, noch ein land von der größe der schweiz allein. die verantwortung für die fortlaufenden und schwerwiegenden völker- und menschenrechtswidrigen vorgänge tragen jene systemischen kräfte, die am krieg und an der ausplünderung fremder ressourcen verdienen. der leidensweg christi ist nicht zuende, bevor die menschheit sich nicht der mörderischen strukturen, die den keim der vernichtung in sich tragen, entledigt hat.

Auf den nächsten Seiten folgen Sie uns  Schritt für Schritt  an die Orte des  Geschehens.